ein bild von einem papst – genets sie in der nato

Ich bin ja doch nur Pose. Mit Jean Genets Sie setzt Regisseur Olav Amende eine groteske, vatikanische Fotosession von einigem Unterhaltungswert an, die immer mehr aus dem Ruder und in eine nicht unkluge Sehgewohnheitsbefragung überläuft, in der das Objekt der Betrachtung - nämlich eben Sie, die Päpstin - ganz hinter dem Bild zu verschwinden droht, dass sich die Welt von ihr macht.

Sie © Ruslan Hrushchak
Sie © Ruslan Hrushchak

Der Abend beginnt mit ausführlichem Gähnen in großer Geste und den Worten „Alles Schwindel“. Der, der hier von der ewigen Schwindelei so ermüdet ist, ist besetzungstechnisch eine sie (Gwen Kyrg) und irgendetwas zwischen Türsteher, Coach und persönlichem Assistenten seiner Eminenz, des Papstes. Der ebenfalls und nicht nur besetzungstechnisch eine Sie ist (Annika Gerber) und dem aus Jean Genets Nachlass veröffentlichten und ziemlich unbekannten Stück seinen Titel gibt. Zur (heiligen) Dreifaltigkeit fehlt noch: Der Fotograf – ebenfalls weiblich besetzt – der ihre Heiligkeit auf ein Bild bannen soll für die Gläubigen der Welt und an dieser Aufgabe zunehmend verzweifelt.

Ein weiblicher Papst also, umkreist von zwei männlichen Figuren, die mit zwei Schauspielerinnen besetzt sind. Diese an sich schon spannungsreiche Konstellation interessiert den Regisseur Olav Amende dann aber eher am Rande – so ist zum Beispiel die Mitra des Papstes von goldblondem, langen Frauenhaar überzogen, die Päpstin selbst aber glatzköpfig. Eine super Idee von Kostümbildnerin Alisa Hecke, die damit auf abzweigungsreiche Weiterdenk-Pfade lockt.

Ich bin eine Gliederpuppe, die Sie als Papst gestalten werden. Ich bin die Hoffnung, etwas zu sein

Das Hauptinteresse des Abends aber gilt dem Bilde, das man sich macht bzw. andere von sich machen lässt. Ums Verhältnis zwischen (Ab)bild und dem Menschen dahinter, Objekt und Subjekt, zwischen Show und echt und darum, wie leicht man sich hinter jenem Bild selbst verliert. Was macht den Papst zum Papst? Was macht die Macht mit dem ehemaligen, armen und glücklichen Hirtenjungen? Wo bleibt das Selbst bei all der Darstellung? Und: Gibt es überhaupt ein Leben jenseits der Pose? Keine ganz unspannenden Fragen für die Generation Selfie …

Sie © Ruslan Hrushchak
Sie © Ruslan Hrushchak

Amende inszeniert gewohnt reduziert, mit sparsamen Einsatz von Requisite, Licht und Sound und verlässt sich voll auf seine drei Spielerinnen. Schön angelegt ist da der Fotograf bei Jennifer Demmel, der zwar schon neugierig ist auf seine Eminenz, den Menschen hinter dem eigenen, gut gepflegten Papstbild letztlich aber doch lieber nicht entdecken und noch weniger be-greifen will. Wie sie trotz Aufforderung – Himmelarsch, fassen Sie mich an! – selbiges mit durch den Kontrast zum schwarzen Kostüm noch größer wirkenden Händen eben gerade nicht fertig bringt, macht wunderbar fasslich, wie ambivalent Glaube, Verherrlichung und (Selbst)Inszenierung funktionieren.

Zusammen mit Genets hintersinnigem, zum Teil derbem (manchmal auch etwas wirrem) Text und vor allem den grotesk-irren Momenten von Annika Gerbers Päpstin gibt das anregend-irritierende Gedankensplitter und insgesamt einen durchaus klugen und amüsanten Abend. Mit Luft nach oben allerdings, denn es bleibt vornehmlich beim Wortgefecht: recht statisch im Spiel, ein wenig verhalten im Bemühen, dem Ganzen Struktur zu geben und den Spannungsbogen zu schlagen. Vielleicht kommt man dem Ensemble auch einfach ein bisschen zu schnell auf die Schliche und dahinter, in welches Vexierspiel die Reise hier führen soll.

Du sollst dir kein Bildnis machen? Nein, am Ende gelingt kein Foto für die Millionen Gläubigen der Welt. Der/die Papst, der so lustvoll-verzweifelt versucht hat, Menschin zu sein, ist längst verschwunden hinter all seinen Abbildern. Hat sich aufgelöst wie ein Stückchen Zucker im Kaffee. Zurück bleiben fünf Schluchzer, eine bitter-süße Sehnsucht nach dem verlorenem Selbst und der Wind, der durch die leeren Hallen des Vatikans streicht.


» SIE
Ein Spektakel nach Jean Genet

Regie: Olav Amende. Es spielen: Jennifer Demmel, Annika Gerber und Gwen Kyrg. Regieassistenz: Miriam Herdt. Dramaturgie: Samuel Anthon. Make-up & Hair: Stephanie Hanf. Sound: Martin Basman. Kostümbild: Alisa Hecke

Heute und morgen noch einmal in der Nato (20 Uhr)
Vom 29. September bis 1. Oktober in den Cammerspielen.

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