sieben stunden nicht nur goethe, aber viel faust. und kein bisschen müde.

An der Berliner Volksbühne herrscht derzeit großer Besucherandrang. Die Inszenierungen der Regisseure, die seit Jahren das Bild des Hauses prägen (neben Frank Castorf sind das René Pollesch, Christoph Marthaler und Herbert Fritsch) laufen vor ausverkauftem Haus. Der Hausherr selbst hat sich in dieser letzten Spielzeit zurückgehalten und erst Anfang März seine erste Premiere auf die Bühne gebracht – Faust.

Der Castorfsche Faust © Thomas-Aurin
Der Castorfsche Faust © Thomas-Aurin

Mit dem Stoff hat er sich allerdings schon längere Zeit beschäftigt und im Herbst 2016 in Stuttgart die Faust-Oper von Charles Gounod inszeniert. Nun also ein wahres Mammutprojekt am Rosa-Luxemburg-Platz, knappe sieben Stunden dauert die Inszenierung, die mit dem Titel Goethes Faust nur unzureichend beschrieben werden kann. Denn natürlich bleibt dieser Volksbühnen-Faust nicht bei Goethe stehen, sondern verwendet diverse andere Quellen.

Da werden Szenen aus Zolas Roman Nana gespielt, Texte zum Thema Kolonialismus von Frantz Fanon verwendet, Alexander Scheer darf mit einem Monolog aus Lord Byrons Manfred glänzen. Ein überbordender, Zuschauer wie Schauspieler herausfordernder Abend ist es geworden. Im Programmbuch äußert sich der Regisseur wie folgt: Mit Faust könne man machen was man wolle, weil sich bei Goethe für jede Interpretation eine Begründung findet. Wie schwierig es ist, bei der Faustinterpretation zu einer eindeutigen Aussage zu kommen, verdeutlicht eine gegen Ende der Inszenierung zitierte Statistik aus der Literaturwissenschaft: Hinsichtlich der Frage, wer nun die Wette gewonnen hat, herrscht große Uneinigkeit. Hat Faust die Wette im Wortsinne verloren, aber sie in einem höheren Sinn gewonnen? Oder umgekehrt? Oder ist es müßig, über dieses Problem zu diskutieren, weil sich Goethe selbst am Ende gar nicht mehr für diese Frage interessiert hat?

Doch zurück zur Inszenierung. Die spielt im Bühnenbild von Aleksandar Denič und das ist wieder einmal ein Sammelsurium verschiedenster Dinge, die sich zu einer Vielzahl von Räumen formen, in denen große Teile der Handlung für das Publikum nur per Videoübertragung sichtbar werden. Da gibt es ein Höllentor, das aber der Eingang zu einer Bar ist. Es gibt die Pariser Metrostation Stalingrad inklusive Bahnsteig und Zug, es gibt einen Raum, der in seiner Ausstattung an eine heruntergekommene Kaserne erinnert. An den Wänden dieser Bühnenaufbauten hängen allerhand Plakate, die für eine Kolonialausstellung und für diverse Filme vergangener Jahrzehnte werben, nicht nur für Horrorfilme, wie mancher Kritiker vermerkt.

Der Eindruck, dass uns diese Kulisse nach Paris entführen will, ist nicht falsch. Ähnlich wie schon bei seinem Münchner Baal verknüpft Castorf das Stück mit einem konkreten Krieg, in diesem Fall mit dem Befreiungskampf Algeriens gegen die französische Kolonialherrschaft. Und doch kann man nicht sagen, die Geschichte spielt in einem Frankreich der Kolonialkriege. Castorf macht das, wofür er bekannt und berüchtigt ist: gefüllt mit Assoziationen schreitet der Abend voran, mal ist man bei Nana im Paris des 19. Jahrhunderts, dann sieht man plötzlich einen Film, der den Widerstandkampf algerischer Frauen thematisiert, dann quält sich Faust in seiner Studierstube bei der Beschwörung des Erdgeistes (dabei blättert er nicht in einem Folianten mit Zaubersprüchen, sondern in Gesetzblättern aus DDR-Zeiten) oder der aus Burkina Faso stammende Schauspieler Abdoul Kader Traore sitzt in der Metro und spricht Celans Todesfuge auf französisch.

Wie gewohnt großartig sind die Schauspieler der Volksbühne. Martin Wuttke als Faust spielt phasenweise mit einer Gummimaske, die ihn zum Greis werden lässt, der seinen Text nur noch schwer verständlich vor sich hin brabbelt. Ein großer Moment des Abends: der Habe nun ach-Monolog, der nicht zu Beginn kommt, sondern erst in der Hexenküche aus Faust hervorbricht. Marc Hosemann ist ein mehr auf seine Körperkraft als auf List vertrauender Mephisto, Lars Rudolph ein zwielichtiger, von seinem Homunculus begeisterter Wagner. Mit Valery Tscheplanowa taucht ein neues Gesicht an der Volksbühne auf, die sich mit ihrer Interpretation von Gretchen, Helena oder Nana mühelos einpaßt. Langjährige Begleiter Castorfs wie Sophie Rois, Sir Henry oder Frank Büttner zeigen bei etwas kürzeren Auftritten ihre bekannten Qualitäten.

Das Vorspiel auf dem Theater nutzt Alexander Scheer, um als Theaterdirektor Chris Dercon zu parodieren. Wie man hört, will Castorfs Nachfolger u.a. Beckett zeigen. Ob deshalb zwei Schauspielerinnen in Mülltonnen zu sehen sind, kurz nachdem das Wort Endspiel fiel? Eines aber kann man Castorf nicht vorwerfen: dass es ihm an Selbstironie fehlt. Da räsoniert Daniel Zillmann, dass es doch irgendwas bedeuten müsse und wenn es nichts bedeute, warum wäre es dann so lang? Und als die Schauspieler auf seinen Proben nicht das machen, was er will, droht er damit, den Laden zuzumachen, damit er sich nicht weiter herumärgern müsse.

Wie in einer Kritik zu lesen war, steigen Faust und Mephisto am Ende in einen Sarg und rufen, bevor dieser geschlossen wird: „Wir sind unsterblich!“ In der Vorstellung, die ich gesehen habe, gab es eine kleine technische Panne, die die Übertragung dieser Szene auf die Leinwand verhinderte. Dass sich die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz nach 25 Jahren Castorf-Intendanz einen Platz in der Unsterblichkeit verdient hat, wird aber wohl niemand bestreiten.


» Faust
Volksbühne Berlin. Regie Frank Castorf. Mit: Mit: Martin Wuttke, Marc Hosemann, Valery Tscheplanowa, Alexander Scheer, Sophie Rois, Lars Rudolph, Lilith Stangenberg, Hanna Hilsdorf, Daniel Zillmann, Thelma Buabeng, Frank Büttner, Angela Guerreiro, Abdoul Kader Traoré und Sir Henry.

Nächste Vorstellungen: 17. und 18. März – hier als Faust-Nacht ab 23 Uhr, wenn die Volksbühnen-Website nicht lügt, 31. März und am 1., 14. und 15. April – zu allen Vorstellungen nur noch die Chance auf Restkarten an der Abendkasse

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