Ein einziger Schauspieler auf dieser riesigen Volks-Bühne, auf der sich außer ein paar Stühlen, einer Tischtennisplatte und reichlich -bällen kaum Requisiten finden und eine Spieldauer von drei Stunden netto: Oha! Aber Joachim Meyerhoff füllt Raum und Zeit mit einer unglaublichen Präsenz und Energie und im doppelten Wortsinn: spielend.
Schon vor Beginn ist er auf der Bühne und lädt Zuschauer auf eine Partie Tischtennis ein, nach 1 ½ Stunden entlässt uns in die Pause – fakultativ, genauso gut könnten wir auch dableiben und ihm beim Aufräumen zusehen. Und tatsächlich: Noch schnell den letzten Plasteball auf die Seitenbühne gepustet und dann ist Meyerhoff fertig mit dem Ordnung schaffen, gerade, als das Publikum wieder seine Plätze einnimmt. Irre! würden wir schreiben, wenn das dann nicht doch zu gut zu Thomas Melles Roman passte.
„Die Welt im Rücken“ ist der biographische Bericht der bipolaren Störung des Autors – eine sehr eindrückliche, ungeschminkte Schilderung der manischen und der depressiven Phasen, des Kampfs um das eigene Ich und dem Verlust und dem mühseligen Wieder-Zusammensetzen desselben.
Ich möchte Ihnen von einem Verlust erzählen
… ist der erste Satz, der an diesem Abend fällt, und wie Thomas Melle im Buch kämpft in den folgenden Stunden dieses Bühnen-Ich um die eigene Geschichte, will sich selbst durch das Beschreiben ein Stück weit zurück holen. Nein, das ist ja völlig falsch! – Meyerhoff unterbricht immer wieder die eigene Erzählung und macht so deutlich, dass einem mit der psychischen Erkrankung nicht nur die Kontrolle, sondern auch der Narrativ über das eigene Leben verloren geht.
‚Cause my head just hates when I think of
The things that I shouldn’t have done
Dafür findet die Inszenierung so einfache wie großartige Bilder: Hunderte weiße Tischtennisbälle springen über die schwarze Bühne wie hypernervöse Rezeptoren der kranken Nerven. Dann spannt Meyerhoff ganz physisch ein Netz seiner Wahnideen, in dem er sich vertrickt. Oder er kopiert seine Körperteile immer manischer zu vielen schwarz/weiß-Selbstbildern. Schließlich mündet die unmöglich werdende vernünftig-bewusste soziale Interaktion in eine fulminante Pubklikumsbeschimpfung. Das ist vielleicht die komischste Szene, aber gleichzeitig eben auch die schmerzhafteste Komponente: Denn immer ist er allein, gefangen in seiner Welt, von der sich die anderen nach und nach abwenden. Einer Welt, die er sich nicht ausgesucht hat, an der er aber immer weiter bauen muss.
Trotz alledem ist „Die Welt im Rücken“ kein depressiver Abend. Schon in der Buchvorlage ist der Ton zwar hart, hat aber eben auch viel Selbstironie und Humor. Die intensiven Zwischentöne trifft der Ausnahmespieler Meyerhoff auf der Bühne kongenial. Dabei verfällt er keinem (Theater)Wahn im engeren Sinne, sondern erzählt mit eher kontrollierter Raserei und einer gewissen Distanz vomn komisch-traurigen Selbst-Behauptung-Versuch seiner Figur. Nicht einmal scheint er dabei nach dem nächsten Satz in diesem Bewusstseinsstrom-Text suchen zu müssen, nie lässt er nach in Kraft und Energie.
Am Ende schwebt die Krankheit – oder ist es das deformierte Hirn? – riesig und amöbenhaft über der Bühne und der Krankheits- und Hirninhaber vermisst selbige(s) erst von außen mit einer echten Neugier, dann versucht er, es sich innen drin heimisch zu machen und dieses dysfunktionale Organ wieder zu seinem eigenen zu machen.
» Die Welt im Rücken
Burgtheater Wien zu Gast an der Volksbühne Berlin.
Nach dem Roman von Thomas Melle. Regie Jan Bosse. Bühne Stéphane Laimé. Kostüme Kathrin Plath. Musik Arno Kraehahn. Licht Peter Bandl. Dramaturgie Gabriella Bußacker. Mit Joachim Meyerhoff