Lange hat sie nicht gedauert – die Freude über die Wiedereröffnung der Theater. Der Stapel Eintrittskarten für den Monat November ist nun nutzlos: keine euro-scene, keine Hartmann-Premiere am DT, keine Castorf-Premiere am BE. Da bleibt nur der Blick zurück.
Vor zwei Wochen Besuch am Deutschen Theater: Auf dem Spielplan stand Molieres Menschenfeind, keine sehr neue Inszenierung, Premiere war bereits im März 2019. Im Februar 2020 dann die Einladung zum Theatertreffen, dann der erste Lockdown… Nun endlich Gelegenheit, die Inszenierung von Anne Lenk zu sehen. Mit dabei sind zwei alte Bekannte aus Centraltheater-Zeiten: Manuel Harder und Timo Weisschnur. Gezeigt wird das Stück in einer Übersetzung in gereimten Versen von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens. Und das Wort spielt an diesem Abend auch die Hauptrolle, allein schon das Zuhören ist eine wahre Freude. Optisch hingegen hält sich die Inszenierung zurück: die Bühne ist ein grauer Kasten, dessen Wände aus dicht nebeneinander gespannten Gummiseilen bestehen, die den Schauspielern Zu- und Abgang ermöglichen. Auch die Kostüme sind in den Farben schwarz, weiß und grau gehalten.
Den Menschenfeind Alceste spielt Ulrich Matthes, seinen Freund Philinte Manuel Harder. Ihnen gehört der erste Auftritt, dann sehen wir schon Timo Weisschnur, der in einem schönen Auftritt zeigt, wie der selbstverliebte Dichter Oronte seine Verse vorträgt. Matthes gibt den Alceste als Moralapostel, der gegen die Doppelmoral der Gesellschaft wütet, aber oft genug dann doch sich selbst der Nächste ist. Die von ihm angebetete Célimène (Franziska Machens) aber wird zur eigentlichen Hauptfigur des Abends, der sich auf den ersten Blick recht konventionell inszeniert gibt. Bei genauerem Hinsehen aber betrachtet die Regie das Stück vor allem unter dem Aspekt, dass uns hier eine selbstbewußte junge Frau begegnet, die sich zwar das Vergnügen nicht versagt, mit den um sie werbenden Männern zu spielen, aber offensichtlich kein Interesse daran hat, ihre Freiheit für einen von ihnen, die alle nicht sonderlich vorteilhaft erscheinen, aufzugeben. Ein Thema, das offensichtlich schon zu Molieres Zeiten eine Rolle spielte – und bis heute aktuell ist. Einen Mann gibt es allerdings, der sich bedächtig aus den Werbungen um Célimène zurückhält und der nicht nur deshalb zur positivsten männlichen Figur des Abends wird: Manuel Harders Philinte.
Außer der Einladung zum Theatertreffen wurde die Inszenierung auch mit dem Friedrich-Luft-Preis für die beste Berliner Inszenierung des Jahres ausgezeichnet. Die Preisverleihung fand mit Verspätung just in der Vorstellung statt, die ich sah. Es wäre ein Anlass zum Feiern gewesen, unter Corona-Bedingungen schwierig, am DT verteilt man im Zuschauersaal Sekt und erhebt das Glas mit gebührendem Hygieneabstand. Im Text hieß es irgendwo „… jetzt füllt sich langsam wieder dieses Haus…“, eine Hoffnung, die zwei Wochen später in ihr Gegenteil umgeschlagen ist. Wer sich diesen Menschenfeind trotzdem ansehen möchte, hat am 7.11. auf 3sat Gelegenheit dazu. Derzeit sicher nicht die schlechteste Variante, den Samstagabend zu verbringen. Viel Vergnügen!
» Der Menschenfeind
Regie Anne Lenk. Bühne Florian Lösche. Kostüme Sibylle Wallum. Musik Camill Jammal. Video Jens Kuffel. Licht Matthias Vogel. Dramaturgie Sonja Anders. Mit: Ulrich Matthes, Manuel Harder, Franziska Machens, Lisa Hrdina, Judith Hofmann, Timo Weisschnur, Jeremy Mockridge und Elias Arens
am Samstag, 7. November, 20:15 Uhr 3sat