Amok | Berliner Ensemble

“Ich bin ein Mensch!” – Cordelia Weges überwältigendes Solo am BE

„Amok“ heißt der Abend und basiert auf der Novelle „Der Amokläufer“ von Stefan Zweig. Zweig schildert die schicksalhafte Begegnung eines deutschen Arztes und einer englischen Frau in Indonesien zur Zeit der holländischen Kolonialherrschaft.

Als ich mir vor Wochen ein Ticket für eine Vorstellung am Berliner Ensemble kaufte, war vom Lokführerstreik noch keine Rede. Nun hatte mich der Streik hart getroffen. Verhältnismäßig soll es nach Meinung der Gerichte sein, mit diesem Streik Tausende von Bahnreisenden in ihrer Beweglichkeit einzuschränken. Dass ich als notorischer Nichtautofahrer dazu eine andere Meinung habe, wird vielleicht sogar Herr Weselsky verstehen. Egal, den ersten Gedanken, auf die Fahrt nach Berlin zu verzichten, schob ich nach dem Lesen der Nachtkritik beiseite. Nein, das klang so, als ob man sich den Abend nicht entgehen lassen sollte. Mit ein wenig Aufwand gelang es tatsächlich, die Reise nach Berlin und zurück zu organisieren und damit der streikenden GDL ein Schnippchen zu schlagen.

AMOK © Matthias Horn
AMOK © Matthias Horn

So sitze ich also am Sonntagabend kurz vor 18 Uhr im BE. Der Saal ist gut gefüllt. Während vor Wochen noch jeder zweite Platz leer bleiben sollte, wurden jetzt alle Karten verkauft. Auf der Bühne steht ein metallenes Gerüst, das mich an einen Galgen oder ein Schafott erinnert. Cordelia Wege betritt den Saal, stellt sich für einige Sekunden an die Rampe, schaut ins Publikum. Dann treten die Bühnenarbeiter hinzu, eine Leiter wird unter das Gerüst gestellt, die Schauspielerin steigt hinauf. Wieder fühle ich mich an eine Hinrichtung erinnert. Die Bühnenarbeiter hängen sie nun an einigen am Körper befestigten Gurten in der Luft auf, Arme und Beine stecken in Schlaufen am Ende von Gummiseilen, sind dadurch eingeschränkt beweglich.

„Amok“ heißt der Abend und basiert auf der Novelle „Der Amokläufer“ von Stefan Zweig. Zweig schildert die schicksalhafte Begegnung eines deutschen Arztes und einer englischen Frau in Indonesien zur Zeit der holländischen Kolonialherrschaft. Er erzählt die Geschichte aus der Perspektive des Mannes, der der Frau verfällt und zum titelgebenden Amokläufer wird. Cordelia Wege hat darauf basierend unter Mitarbeit des Dramaturgen Johannes Nölting eine Textfassung erstellt, die mit lose zusammenhängenden Worten beginnt. Ich habe die Novelle gerade noch einmal gelesen und weiß, daß z.B. mit dem Ausruf „O – ceania“ der Name des Schiffes gemeint ist, auf dem der Arzt und die Leiche der Frau nach Europa reisen. Allmählich formen sich die Worte zu Sätzen, zunächst wird wie bei Zweig die Sichtweise des Mannes wiedergegeben. Untermalt wird das von der Musik von Samuel Wiese, der auch schon in Inszenierungen von Sebastian Hartmann zu hören war. Allmählich nimmt die Geschichte Fahrt auf. Geschildert wird das Gespräch des Arztes mit der Frau und dabei wird erstmals ein Perspektivwechsel eingebaut. „Ich ziehe meinen Schleier hoch“ heißt es und von da an hört man immer wieder abwechselnd Worte und Gedanken von ihr oder von ihm. Gesprochen von einer Schauspielerin, die mal beherrscht in den Seilen hängt, sich dann windet, die Gliedmaßen bewegt, so gut es die Seile erlauben, dann die Bühnenarbeiter um eine Leiter bittet. Die Frau, der Mensch, in ein Korsett gezwungen, kann sich nicht allein helfen, muß um Hilfe bitten. Nur kurz ruht sie auf der Leiter aus, wird dann wieder angeschnallt, dabei hängen für einen Moment ihre Beine nach unten, so daß die Stellung einem gekreuzigten Menschen ähnelt.

Die Auseinandersetzung spitzt sich zu, sie will sich die Hilfe des Arzts erkaufen, er will sie bitten hören. Bei Zweig heißt es, der Arzt habe die „Gier, eines Hochmuts Herr zu werden“, Bei Cordelia Wege kommt die Sicht der Frau dazu: „Du willst über mich verfügen.“ Doch es ist keine einseitige Parteinahme, die wir hier hören. „Ich bin ein Mensch.“ – den Satz spricht die Schauspielerin aus beiden Perspektiven.

Überhaupt die Sprache, immer wieder werden Sätze wiederholt, dabei wandelt sich die Bedeutung durch ein weggelassenes Wort oder eine leichte Verschiebung der Betonung, Gewißheiten geraten ins Wanken. In ihrer Beweglichkeit strak eingeschränkt, ist die Schauspielerin vor allem auf ihre Stimme angewiesen – und sie nutzt sie meisterhaft.

Die Geschichte spitzt sich zu und erfährt eine tödliche Wendung, man kann die Details bei Zweig nachlesen. Cordelia Wege zeigt den Todeskampf, beklagt ihren gemarterten Leib, „Death in slow motion“ singt Samuel Wiese dazu. Dann kippt die Konstruktion ganz langsam, ganz allmählich in die Horizontale, die Schauspielerin wurde zuvor so vertäut, daß sie nun auch in dieser Stellung sicher hängt. „Ich will sie zwingen, sie schänden, sie bändigen…“ die Machtphantasien des Mannes faßt sie in eine lange Aneinanderreihung von Verben.

Dann noch einmal ein Bild der Hilflosigkeit, ein Bühnenarbeiter reicht ihr etwas zu trinken. Die Konstruktion kippt wieder in die Vertikale, die Bühnenarbeiter befreien die Schauspielerin von den Fesseln. „Wo gehst Du denn hin? – Weiß ich nicht.“ Sie steigt von der Leiter, muß scheinbar gestützt werden. Ist sie nach mehr als einstündigem In-der-Luft-Hängen zittrig auf den Beinen? Der Eindruck währt nur einen Moment, dann tritt sie leichtfüßig an die Rampe, tanzt zur jetzt erklingenden Barockmusik (von Arcangelo Corelli?).

Obwohl es nicht die Premiere ist, ist der Beifall überwältigend, Bravorufe, aufspringende Zuschauerinnen und Zuschauer, Begeisterung, Tränen rinnen. Was für ein Abend, was für eine schauspielerische Leistung! Die Aufregungen beim Kampf gegen den Bahnstreik sind mehr als belohnt worden.


» Amok
Von und Mit: Cordelia Wege. Kostüm: Cordelia Wege, Svenja Niehaus. Mitarbeit Bühne: Katja Pech. Musik: Samuel Wiese. Dramaturgie: Johannes Nölting. Licht: Ulrich Eh.

Wieder am 19. und 25. September sowie am 3., 15., 23. und 31. Oktober am Berliner Ensemble

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert