Im Stein | Michael v. zur Mühlen & Clemens Meyer

Oper Halle – Alles endet

Vor der Oper Halle kann man derzeit ein Plakat sehen, auf dem die Worte „Alles endet“ stehen. Was es damit auf sich hat, klärt ein kurzer Blick in die Vergangenheit.

Oper Halle, im Stein © Martin Mallon
Oper Halle, im Stein © Martin Mallon

Sommer 2016. In Halle hängen Plakate mit dem Slogan „Alles brennt“. Damit wirbt die Oper Halle für ihr Programm, das eine junge Mannschaft unter Leitung des neuen Intendanten Florian Lutz aufgestellt hat. Schon nach der ersten Spielzeit ist klar: Soviel Aufmerksamkeit für ein künstlerisch hochwertiges Programm gab es wohl in Halle schon lange nicht mehr. Im Publikum finden sich begeisterte Theaterfreunde, die die Oper Halle noch nie von innen gesehen haben, im überregionalen Feuilleton wird berichtet, in Zuschauergesprächen wird über die Inszenierungen gestritten, ganz klar: hier wird Theater gemacht, das die Menschen bewegt, das sich ins Zeitgeschehen einmischt, das zeigen will, wie modernes Musiktheater aussehen kann. Nur wenig später werden Preise wie der FAUST oder der Theaterpreis des Bundes verliehen.

Die verantwortlichen Politiker in Halle scheint das nicht zu interessieren. Sie beschließen, den Vertrag mit Florian Lutz nicht über die geplanten fünf Jahre hinaus zu verlängern. Schließlich kommt auch noch, in der Mitte der 4. Spielzeit, die Corona-Pandemie. Nur für wenige Wochen im September und Oktober 2020 unterbrochen, verhindert der Lockdown eine Reihe von geplanten Inszenierungen. Den Abschluss der Spielzeit soll nun ein vorwiegend digitales Festival unter dem Motto „Alles endet“ bilden. Aber bevor das vom 8.-11.7. stattfinden wird, hat man an der Oper Halle noch einmal die Kräfte gebündelt und gegen alle Widerstände eine letzte Inszenierung auf die Bühne gebracht.

Die Uraufführung „Im Stein“ ist Musiktheater von Sara Glojnarić nach dem Roman von Clemens Meyer. Dieser schon länger geplanten Produktion hatten sich immer wieder Schwierigkeiten in den Weg gestellt, die eine Verschiebung erforderten. Nun konnte es zwar keine Aufführung mit Publikum geben, aber immerhin wurde die Premiere am 30.6. im Livestream übertragen. Und das konnte man nicht nur am heimischen Bildschirm verfolgen, sondern auch auf einer Leinwand im Peißnitzhaus, auf der einen Tag zuvor noch das Ausscheiden der deutschen Fußballer gegen England gezeigt wurde. Da mag es auf den Bänken vor der Leinwand voller gewesen sein, aber es finden sich doch einige Kunstinteressierte ein, so dass die Plätze an diesem Mittwochabend gut gefüllt sind.

Es wird ein Abend, der für eine Videoübertragung gemacht ist. Regisseur Michael v. zur Mühlen hat sich mit dem Videokünstler Martin Mallon Verstärkung geholt. Da wird also nicht einfach nur das Geschehen auf der Bühne abgefilmt, sondern es entstehen durch technische Tricks Bilder, die man so nicht sehen könnte, wenn man live dabei wäre.

Meyers 2013 erschienener Roman, damals auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises, ist ein Roman über die Umbrüche im Osten Deutschlands in den 90er Jahren, der anhand des Rotlichtmilieus das Funktionieren der kapitalistischen Wirtschaftsordnung untersucht. Ein Werk, das mit seinen 560 Seiten zunächst kaum für eine Opernabend geeignet scheint. Doch der Autor hat sich selbst der Mühe unterzogen, aus seinem Werk ein Libretto zu destillieren, das für einen Theaterabend brauchbar ist, unterstützt vom ehemaligen Centraltheaterdramaturgen Johannes Kirsten. Und anhand dieses neu entstandenen Textes hat dann die junge Komponistin Sara Glojnarić die Musik für den Abend komponiert.

Oper Halle, im Stein © Martin Mallon
Oper Halle, im Stein © Martin Mallon

Eine ungefähre Kenntnis des Romans ist für das Verständnis dieses Musiktheaterabends durchaus von Vorteil. Da sind die Hauptfiguren AK und Hans, die mit den Frauen Geld verdienen, ob sie ihnen nun Wohnungen vermieten oder einen Nachtclub betreiben, da ist der Jockey, der seine Tochter sucht und in dessen Arien immer wieder Anklänge an den Erlkönig auftauchen. Da sind vor allem die beiden Mädchen (Lara Heller und Camille Dombrowsky aus dem Studio des nt), die u.a. in den Szenen auftauchen, in denen es um Prostitution von Minderjährigen geht (wie im Roman taucht der Comic-Titel „Der Kolumbusfalter“ auf), aber ebenso beim Kongress der Huren eine Rolle spielen. Und da sind außerdem einige nt-Schauspieler (unter ihnen Harald Horvath, Centraltheaterfreunden aus dem „Großen Marsch“ bekannt), die die Männer der Rotlichtrunde, aber dann auch wieder die Huren verkörpern. Wie es der Zufall will, ist mit Kaori Sekigawa eine Japanerin Miglied im Chor der Oper Halle, so dass die Episode des Romans, die in Japan spielt, waschecht im Originalton umgesetzt werden kann.

Zuschauerliebling des Abends ist aber mit Sicherheit der Autor selbst. Er schlüpft in die Rolle, in der ihn ein breites Publikum schon im Tatort gesehen hat: Radiomoderator Ecki. Nur ist es diesmal eine Lady Ecki (also eher eine Clementine) im goldenen Kleid und mit großer goldener Schleife im blonden Haar. Lady Ecki kommentiert das Geschehen von einer Rakete aus, mit der sie scheinbar durchs Weltall düst, auch das ein Effekt, der nur per Videomontage möglich wird. Da wird mal ein Quiz veranstaltet, da werden Ronald M. Schernikau und Franz Fühmann zitiert oder auch mal Wolfgang Hilbigs „Stimme Stimme“, immer doppelbödig und assoziativ.

Nach Monaten der coronabedingten Pause gelingt hier der Oper Halle noch einmal ein letzter großer Wurf, der grundlegende Themen der Opernwelt wie Liebe, Macht und Tod behandelt, dafür aber nicht ins klassische Opernrepertoire greift. „Alles endet“ heißt es nun in Halle, ein verheißungsvoller Aufbruch wurde abgewürgt, doch darüber wurde andernorts schon genug berichtet. Ein ungewöhnlicher, aber sehr gelungener Abend endet mit viel Beifall, der ein zweites Mal aufbrandet, als die beteiligten Künstler auf der Peißnitzinsel eintreffen und eine corona-konforme Premierenfeier unter freiem Himmel beginnt.  Die Aufführung ist noch bis zum 11.7. im Stream verfügbar.


» Im Stein
Oper von Sara Glojnarić nach dem Roman von Clemens Meyer. Regie  Michael v. zur Mühlen. Musikalische Leitung Michael Wendeberg. Video und Bildregie Martin Mallon. Bühnen- und Kostümbild Christoph Ernst. Kamera Iwo Kurze. Programmierung Lucia Kilger / Lukas Nowok. Klangregie Martin Recker / Paul Hauptmeier. Libretto und Dramaturgie Johannes Kirsten. Mitarbeit Dramaturgie Friederike Brendler. Beleuchtung Victor Schenke. Regieassistenz Marianne Beyer. Mit: Clemens Meyer, Camille Dombrowsky / Lara Heller, Anton Dreger, Harald Horvath, Clemens Kersten, Hagen Ritschel, Jörg Simonides, Andrew Nolen, Anke Berndt, Michael Taylor, Sebastian Byzdra, Kaori Sekigawa, dem Chor der Oper Halle und der Staatskapelle Halle.

Digitales Abschlussfestival der Oper Halle:
PUBLIC VIEWING: IM STEIN (UA)
Donnerstag, 08. Juli 2021, 19 Uhr, Opernvorplatz

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