König Lear | Deutsches Schauspielhaus Hamburg

was tust du denn gerade, alter mann?

Gen Ende sitzt Edgar Selges Lear nur im Unterhemd in dem Chaos, das er selber angerichtet hat. Klein scheint die Bühne da, beengt von Wänden und erdrückt von der Decke, fast zu klein für all die Zerstörung, Trauer, Wahnsinn und Tod darauf. Am Anfang hat dieser König eben jene Bühne abgeschritten, sich bedacht an den Wänden entlang getastet und so sein Reich vermessen, das er unter den drei Töchtern aufzuteilen gedachte. Am Schluss wird er es wieder tun und jeder seiner Mitspieler, den er passiert, wird leblos zu Boden sinken.

König Lear © Matthias Horn
König Lear © Matthias Horn

Was tust du denn gerade, alter Mann? fragt Goneril den Vater, als der seine mit dem Erbe vereinbarten Altenteil-Rechte einfordert. Das fragt aber auch der getreue Kent, der nicht fassen kann, dass sein Herr ohne Not das Reich spaltet und der voraussieht, dass mit Macht und Amt auch die Würde(n) verloren sind. War aber auch wirklich eine Scheiß-Idee, die Shakespeares König da hatte. Die einzige Tochter, die tatsächlich loyal ist, verstößt er, weil sie sich nicht am egozentrischen Wer-liebt-mich-am-meisten-Wettstreit der Schwestern beteiligen mag. Die anderen beiden, denen nun jeweils halb Britannien in den Schoß fällt, können sich ihrer Liebesschwüre und hehren Versprechen schon bald nicht mehr erinnern. Hätte er wissen können, schließlich sind es seine ureigenen Geschöpfe, aber offenbar macht auch Vaterliebe blind.

Carlo Ljubek und Samuel Weiss spielen die beiden fiesen Schwestern mit wunderbarer Nonchalance und hintergründiger Machtgeilheit. Mit und ohne Haarteil, in Robe oder mit freiem Oberkörper und in einer besonders bei Ljubek berückenden Mann-Weib-Mischung. Als dritte(r) reiht sich Sandra Gerling ein in die Achse der Bösen. Ihr Edmund von Gloucester ist von großartiger, funkelnder Intriganz und Niedertracht und auch er wendet sich gegen die ältere Generation, gegen den Vater. Die Töchter Männer, der Sohn eine Frau – in dem Karin Beier hier doppelt gegen den Strich besetzt, bricht sie gelernte Rollenbilder mit frappierender Leichtigkeit auf, ja macht sie sogar fast obsolet.

König Lear © Matthias Horn
König Lear © Matthias Horn

Die Gatten der Ladys hat die Regie gleich mal gestrichen, und auch sonst arbeitet sie mit sparsamer Ausstattung und konzeptioneller Klarheit. Darin setzen die Kostüme (oder das fehlen derselben) wohldosiert extravagante Leucht- und Konterpunkte. Scheinwerfer verdoppeln die Personage als übergroße Schattenspieler an den Bühnenwänden. Dazu sind alle Spieler immer on stage. Wer gerade keine Szene hat, sitzt am Rand – beobachtend, lauernd, süffisant-wissend oder müde-resigniert. Das ist gleichzeitig hübsche Entlarvung – Ein Spiel, das Ganze – und packende Verdichtung.

Ha! Ha! Said the clown, has the king lost his crown
Is the night being tight on romance
Ha! Ha! Said the clown, is it bringing you down
That you’ve lost your chance

Nein, neuerfunden hat Beier den Lear nicht. Aber einen großartigen Schauspielerabend geschaffen. Das ganze Ensemble ist der Hammer. Das Zentrum des Abends und am allergroßartigsten sind aber Selge als Lear und Lina Beckmann als des Königs Narr. Ersterer wird in dem Maße intensiver und anrührender wie der Verstand des Königs dem Wahnsinn weicht. Und wie Beckmann mit narrenfreier Schnauze und kindlicher Offenherzigkeit ein ums andere Mal genau den richtigen Schmerzpunkt trifft ist genauso komisch wie todtraurig, so naiv wie lebensklug, derb und zärtlich zugleich und ganz, ganz wunderbar.

König Lear © Matthias Horn
König Lear © Matthias Horn

Das Recht der Jugend gegen den Starrsinn des Alters, die Pflicht der Kinder gegenüber den Eltern, Zusammenhalt gegen Spaltung, Wir gegen Ich, Geschlecht gegen Rolle, Loyalität gegen Machtgier – Karin Beier packt in ihren Bühnenkasten einiges an Themen, für eines entscheiden mag sie sich nicht. Und denkt man’s weiter – ist dieser Abend nicht sogar ein Europa- und Brexit-Drama? Sehr passend dazu und ebenso eindringlich Jan-Peter Kampwirths Schlussmonolog über Heimat, der uns aus dem lang vergangenen Britannien doch noch direkt ins Heute katapultiert.


» König Lear
Deutsches Schauspielhaus Hamburg, Premiere am 19.10.2018
Regie Karin Beier. Bühne/Kostüme Johannes Schütz. Musik Jörg Gollasch. Licht Annette ter Meulen. Ton Shorty Gerriets, Lukas Koopmann. Dramaturgie Christian Tschirner. Mit Lina Beckmann, Sandra Gerling, Jan-Peter Kampwirth, Matti Krause, Carlo Ljubek, Maximilian Scheidt, Edgar Selge, Ernst Stötzner, Samuel Weiss und den Musikerinnen Yuko Suzuki / Akiko Kasai.

Nächste Vorstellungen: 26./27. Juni 2019

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