die unverheiratete | Schauspiel Leipzig, Diskothek

erinnern kann ich mich nicht – palmetshofers unverheiratete als kammer- und sprachspiel in der diskothek

Die Frau, die hier in der dunklen Bühnenmitte auf einem Stuhl sitzt, ist jung. Aber auch sehr alt. Von einzelnen Spots wird sie in warmes Licht getaucht, beide Füße sind fest nebeneinander auf den Boden gepresst, als würden sie ihre verlorenen Wurzeln suchen. Marie Rathscheck ist die alte-junge Unverheiratete in Ewald Palmetshofers gleichnamigen Stück, das Ilario Rascher für zwei Aufführungen als ziemlich intensives Kammer-Sprachspiel und konsequente Innensicht auf die Diskotheksbühne gebracht hat.

marie rathscheck als 'die unverheiratete' © Jana Nowak/Schauspiel Leipzig
Marie Rathscheck als ‚die unverheiratete‘ © Jana Nowak/Schauspiel Leipzig

Im Zentrum des Stückes des österreichischen Autors steht eine alte Frau, die am Ende ihres Lebens mit etwas hadert, das sie in ihrer Jugend tat und das dann ihr ganzes Leben bestimmte: 1945, in den allerletzten Kriegstagen hat sie ein Telefonat auf dem Postamt mitgehört, in dem ein Soldat mit einer möglichen Flucht liebäugelt. Sie meldet das und der vermeintliche Deserteur bezahlt mit dem Leben. Nach der Befreiung wird sie dafür verurteilt. Die Gründe für die Denunziation bleiben im Text ebenso im Dunkeln wie die (Familien)Geschichte nach Krieg und Haft in der Inszenierung.

Marie Rathscheck wird wunderbar virtous von der einen zu der anderen. Ein Blick genügt, ein fast unmerklicher Wechsel in Haltung und Gestus, um zwischen den Zeiten ihrer Rolle zu wechseln. Sie ist die junge Frau am Küchentisch, die gleich den Soldaten verraten wird, die Angeklagte mit starrem Gesicht, die unsichere Insassin zwischen den neuen Knastschwestern. Und gleich darauf die Alte, die sich nicht erinnern mag, aber alles aufgeschrieben hat – für die Enkelin, für sich selbst. Aber auch der Versuch, sich freizuschreiben, kann so die anklagenden Stimmen in ihrem Kopf nicht zum Schweigen bringen kann.

Jene Stimmen materialisieren sich auf der Bühne in Nina Wolf, Nicole Widera und Alina Heipe. Ein dreistimmiger, sehr lebendiger Vergangenheitsgespensterchor, der mal Tochter ist, mal Enkelin, mal Augenzeugin, mal Richterin. Drei ureigene Racheengel, die grausam dauer-lächelnd und mit der Selbstgerechtigkeit der Nachgeborenen unablässig stochern, bohren, anklagen und dabei ihr Urteil längst gefällt haben.

'die unverheiratete' © Jana Nowak/Schauspiel Leipzig
‚die unverheiratete‘ © Jana Nowak/Schauspiel Leipzig

Ein paar Scheinwerfer, ein großes, bunt beschriftetes Tuch, dass mal Bettversteck, mal Gebirge zu sein scheint (so ganz erschließt sich die Ausstattung tatsächlich nicht), ein paar zerbrochene Plexiglas-Zäune: Minimalistisch geht es auf der Bühne zu, die Konzentration liegt voll auf der Sprachgewalt, und das ist hier wörtlich zu nehmen. Einer unterschwelligen Selbstzerfleischung wohnen wir hier bei.

Durch die Kürzung und die Reduzierung entsteht eine schöne Dichte und Intensität, die Inszenierung ist wie der Text selbst mehr an Fragen als an eindeutigen Antworten interessiert. Die Einschreibung des einstigen Verrates in die Geschichte dieser drei Generationen an Frauen aber bleibt so bloße Behauptung. Vielleicht verlässt man das Theater das Theater zwar durchaus bewegt, aber auch ein wenig ratlos, als nach einer knappen Stunde schon alles vorbei ist.


» die unverheiratete
Von Ewald Palmetshofer. Regie Ilario Rascher. Bühne und Kostüme Lisa Kruse. Dramaturgie Katja Herlemann. Licht Thomas Kalz. Mit Alina-Katharin Heipe, Marie Rathscheck, Nicole Widera und Nina Wolf.

Noch einmal am 1. Juli 2019 um 20 Uhr, Schauspiel Leipzig, Diskothek

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